Dr. Jürg Lareida hat über 30 Jahre im Aargauischen Ärzteverband gewirkt und unter anderem als Präsident viel erreicht und den Verband professionalisiert. Er übergibt nun das Zepter seinem Nachfolger Dr. med. Thomas Ernst. Hier zieht er Bilanz über die letzten Jahre. Ebenso spricht er über die Erwartungshaltung gegenüber der Medizin, die gewaltig ist.
Sie haben anfangs Juni das Präsidium des Aargauischen Ärzteverbandes nach acht Jahren an Ihren Nachfolger Vizepräsident Dr. Thomas Ernst übergeben. Was bedeutet dieser Schritt konkret für Sie?
Dr. Jürg Lareida: Es besteht eine grosse Verantwortung gegenüber den Mitgliedern aber auch der Bevölkerung. Einerseits muss schwerpunktmässig daran gearbeitet werden, dass sich die Arbeitsbedingungen der Ärzteschaft nicht weiter verschlechtern. Gleichzeitig muss die Versorgungssituation auf dem hohen Niveau bleiben. Andererseits sollte die Bevölkerung finanziell nicht weiter belastet werden. Diese Herkules-Aufgaben fallen nun weg, auch wenn das standespolitische Interesse bleibt.
Sie sind dem Berufsverband 1994 und seit 2008 in der Geschäftsleitung beigetreten. Was hat Ihnen die Arbeit und das Engagement im Aargauischen Ärzteverband bedeutet?
Ich bin seit meiner Jugend politisch interessiert, war in den 90er Jahren Einwohnerrat der Stadt Aarau und anschliessend auch in der Steuerkommission tätig. So war es für mich naheliegend mich standespolitisch einzubringen, zumal ich einen Ausgleich zur intensiven Praxisarbeit suchte. Obwohl ich zeitlich noch stärker belastet war, insbesondere die letzten Jahre, fand ich viel Befriedigung und auch Anerkennung.
Wenn Sie zurückschauen. Was waren die schönsten oder grössten «Meilensteine» und Erlebnisse, die sie herauspicken würden?
In den letzten 15 Jahren wurde der Verband professionalisiert. Dies führte dazu, dass eine Vielzahl an Projekten angegangen werden konnten. So haben wir die Ombudsstelle neu organisiert, neue Lehrstellen für medizinische Praxisassistent/-innen geschaffen, die Datensammelstelle in den Verband integriert. Ein wichtiges Projekt war die Lancierung der Praxisassistenz. Hier haben die Ärzte in Fortbildung die Möglichkeit sechs Monate in einer Hausarztpraxis zu arbeiten. Das Ziel ist mehr Ärztinnen und Ärzte für die Hausarztmedizin zu begeistern. Dies gelingt auch, zirka die Hälfte bleiben im Aargau. Der wahrscheinlich wichtigste Meilenstein war die Erhöhung des Taxpunktwertes. Um die Hausarztmedizin attraktiv gestalten zu können, ist eine faire Entlöhnung notwendig. Leider sehen dies die Versicherer anders und bekämpfen die Erhöhung seit 12 Jahren mit allen juristischen Mitteln.
Eine grosse Herausforderung war die Coronazeit. Sie haben souverän mit den kantonalen Führungsstrukturen interagiert. Wie haben Sie diese Zeit erlebt und welche Erkenntnisse sind geblieben?
Tatsächlich war die Zusammenarbeit mit dem Kanton und den Infektiologen ausgezeichnet und fruchtbar. So konnten wir ein Fortbildungstool ins Leben rufen: Alle zwei bis vier Wochen fand eine Online-Konferenz statt, wo wir gegen 200 Zuschaltungen hatten. Diese Konferenzen gaben uns die Möglichkeit, das nötige medizinische Wissen schnell und vollständig an die praktizierenden Ärzte zu bringen. Interessanterweise nahmen teilweise auch Nichtmitglieder teil, die wir dann für eine Mitgliedschaft motivieren konnten. Allerdings bleibt die Tatsache, dass der Pandemieplan von Bund und Kanton bei Ärzten wie auch der Bevölkerung nicht bekannt war. Diese Unkenntnis hat zum Beispiel dazu geführt, dass anfänglich zu wenig Schutzmaterial vorhanden war. Das gilt es mit dem neuen Pandemieplan, welcher sich aktuell in der Vernehmlassung befindet, zu ändern.
Sie haben den Verband sichtbar gemacht und die vorhandenen Netzwerke zu allen Partnern im Gesundheitswesen ausgebaut und gestärkt. Welches Ziel haben Sie verfolgt und wie erlebten Sie die Zusammenarbeit der Partner im Gesundheitswesen?
Ärzte haben wenig Zeit, um sich politisch zu engagieren. Deshalb muss der Verband die Lücken schliessen. Wenn man Einfluss nehmen will, muss man vernetzt sein. Das Gesundheitswesen hat grosse Probleme, die nicht ohne Zusammenarbeit mit den Leistungserbringern gelöst werden können. Aktuell fehlt der Politik das Verständnis für die ärztliche Tätigkeit. Um das zu Verbessern muss Informationsarbeit geleistet werden. Aus diesem Grund gehen wir aktiv auf die Mitglieder des Grossen Rats zu und organisieren Informationsveranstaltungen. Einige der Grossräte werden in den Nationalrat gewählt werden. Es ist eine Hoffnung meinerseits, dass dannzumal das Verständnis grösser sein wird.
Die Abstimmung zur Kostenbremse-Initiative wurde am 9. Juni klar abgelehnt. Sind Sie erleichtert und was bedeutet dies konkret für unser Gesundheitswesen, respektive kann es jetzt «gesunden»?
Ja, ich bin erleichtert. Die Initiative war keine Kostenbremse, sondern wollte die Ausgaben plafonieren ohne zu sagen wie das geschehen soll. Im aktuellen Umfeld hätte dies zu Folge, dass die Qualität der medizinischen Versorgung stark abnehmen und der Zugang zu Leistungen erschwert würde. Allerdings sind die Probleme im Gesundheitswesen mit der Ablehnung nicht gelöst. EFAS (einheitliche Finanzierung ambulant stationär) hat sicherlich ein gewisses Einsparpotenzial. Das Grundproblem ist allerdings, dass wir zu oft den Arzt aufsuchen. Die Erwartungshaltung gegenüber der Medizin ist gewaltig. Wir haben das Gefühl die heutige Medizin könne aus einem Fünfzigjährigen wieder einen Dreissigjährigen machen. Dies ist jedoch definitiv nicht der Fall. Nur weil etwas machbar ist, muss es noch lange nicht sinnvoll sein. So wird zum Beispiel ein grosser Teil der Gesundheitskosten im letzten Lebensjahr verursacht!
Welches Rezept würden Sie dem jetzigen Gesundheitswesen auf den Weg geben?
Zuerst sollten wir alle miteinander reden und den anderen anhören. Nur immer den schwarzen Peter weiterreichen hilft nicht. Um Vertrauen aufbauen zu können, sind positive Signale nötig. Diese spüre ich im Moment auf nationaler Ebene und bei den Versicherern leider nicht. Eine Genesung scheint nicht in Sicht zu sein.
Sie sind pensioniert. Engagieren Sie sich noch im Gesundheitswesen in irgendeiner Art?
Nein, ich habe meine medizinische Tätigkeit beendet. Auch meine standespolitischen Funktionen habe ich bis auf ein kleines Mandat abgegeben. Ob sich in Zukunft etwas ergibt, werde ich sehen. Ich suche jedoch nicht nach einer erneuten Beschäftigung.
Was würden Sie gerne ihrem Nachfolger Dr. Thomas Ernst mit auf den Weg geben?
Es braucht viel Geduld. Gelegentlich muss man mit Frustrationen zurechtkommen. Ehrlichkeit und Beharrlichkeit wird Erfolg bringen!
Was wünschen Sie sich für die verschiedenen Protagonisten im Gesundheitswesen, speziell auch im Kanton Aargau?
Wichtig wäre, dass insbesondere die Versicherer an den Tisch kommen würden. Sie müssten jedoch nicht mit gezinkten Karten wie bisher spielen. Um wieder Vertrauen aufbauen zu können, sind jedoch personelle Wechsel unumgänglich. Der neu gebildete Krankenkassenverband bildet hierfür eine grosse Chance. Die Bedingungen für die Hausärzte müssen dringend verbessert werden, die Erhöhung des Taxpunktwertes wäre ein entsprechendes Signal. Auch der neue Tarif Tardoc würde helfen, dort werden die Hausärzte bessergestellt. Allerdings auch da blockiert Santésuisse die Einführung seit Jahren. Wenn nichts geschieht, wird es im Aargau für die Hausarztmedizin schwierig. Gibt es im Aargau keine Hausärzte mehr, hilft das auch den Versicherern nicht – im Gegenteil, alles wird teurer.
Interview: Corinne Remund
Dr. med. Thomas Ernst ist neu Präsident des Aargauischen Ärzteverbandes
Dr. med. Thomas Ernst wohnt seit über acht Jahren mit seiner Frau, seiner Tochter und seinem Sohn in Magden. Studiert hat er in Basel. Seine Wanderjahre als Assistenzarzt führten ihn in die Allgemeinchirurgie des Gesundheitszentrum Fricktal, in die Viszeralchirurgie des Universitätsspitals Zürich, in die Innere Medizin des Gesundheitszentrum Fricktal, und ins Kantonsspital Baselland, wo er auch als Oberarzt tätig war. Nach zwischenzeitlicher Tätigkeit in der ambulanten Niederlassung ist er seit Februar 2020 leitender Arzt in der Inneren Medizin und Leiter der Interdisziplinären Notfallstation des Gesundheitszentrum Fricktal am Standort Rheinfelden, wo er noch bis Ende Juni 2024 tätig ist. Berufsbegleitend absolviert er an der HSG ein Programm zum Executive MBA.
Dr. Ernst ist im Juni 2022 als Geschäftsleitungsmitglied in den Verband eingetreten und hat seit 2023 die Funktion des Vizepräsidenten ausgeübt. Durch seine langjährige Tätigkeit als Arzt in verschiedenen Funktionen hat er vor allem in seinem Ressort Notfallversorgung sein umfangreiches Fachwissen eingebracht.
CR / pd